Die Veränderungen, die sich rund um den Alten Botanischen Garten aktuell ereignen und in naher Zukunft zu erwarten sind, haben eine starke Dynamik. Die Erwartung auf eine umfassende Aufwertung des Bahnhofsviertels führt zwangsläufig zu Verdrängungen von Menschen oder Dingen, die dieser Aufwertung nicht zuträglich sind.
↑ Hochpreisige Wohn-, Büro- und Hotelanlagen treffen auf Armut und Obdachlosigkeit. Der aufwendige Umbau des Hauptbahnhofes und die Umgestaltung des Vorplatzes zur attraktiven Fußgängerzone sind für viele Menschen ein Gewinn, für andere bisherige Nutzer jedoch das Gegenteil: der Verlust an Aufenthaltsräumen. Die strengere Ordnungspolitik kann vielleicht manchen Konflikt verhindern, doch jede Verdrängung bedeutet die Verlagerung an andere Orte. Auch der Druck auf den Alten Botanischen Garten erhöht sich im Spannungsfeld verschiedenster Einflüsse und Interessen.
↑ Soziale Infrastrukturen schaffen die Bedingung für Teilhabe und Verwirklichungschancen, sie haben teilweise einen langfristigen, teilweise einen eher kurzfristigen Charakter. Manche Einrichtungen und Angebote sind niedrigschwellig, andere dagegen nur mit höherem Aufwand zugänglich. Die im Diagramm aufgezeigte Einordnung der Infrastrukturen anhand ihrer Eigenschaften verdeutlicht, dass nur eine Kombination verschiedener Formen und Maßstäbe ein wirksames Netz sozialer Unterstützung bietet. Bei den kommenden Entwicklungen im Bahnhofsviertel werden daher sowohl substanzielle Infrastrukturen notwendig sein als auch ein Umgang mit dem dauerhaften Bedarf informell nutzbarer Infrastrukturen im öffentlichen Raum, um Verdrängungsmechanismen entgegenzuwirken.
↑ Die grundsätzliche politische Entscheidung zwischen dem Prinzip der Verdrängung und der Solidarität bestimmt darüber, ob der öffentliche Raum weiterhin als sozialer Ausgleichsraum funktioniert: “Der Verlust echter Öffentlichkeit als verbindendes Element verursacht jedoch Segregation, Intimisierung und soziale Polarisierung der urbanen Gesellschaft. […] anders als das Gewerbe und die Sicherheitsindustrie, verfügen Obdachlose über keine einflussreiche Lobby.” (Neupert 2010). Um die gesellschaftliche Funktion des öffentlichen Raums trotz der rasanten Veränderungen des Bahnhofsviertels zu gewährleisten und Ausgrenzung zu vermeiden, ist eine vorausschauende und solidarische Infrastrukturpolitik gefordert, die alle Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner mit einbezieht.
Neupert, Paul (2010): Geografie der Obdachlosigkeit. Verdrängung durch die Kommodifizierung des öffentlichen Raums. Freie Universität Berlin.