Öffentlicher Raum in München gerät mit der fortschreitenden Kommerzialisierung der Innenstadt immer weiter unter Druck. Der Alte Botanische Garten ist weiterhin durch eine starke Heterogenität der Nutzergruppen geprägt. Doch auch im Park und seiner unmittelbaren Umgebung werden informelle Nutzungen und Aneignungen öffentlicher Orte durch verschiedene Interessengruppen beeinflusst und zunehmend schwieriger.
↑ Der Alte Botanische Garten ist ein Beispiel für die Konsequenzen, die der Kampf zwischen verschiedenen Interessensgruppen auf den öffentlichen Raum hat. Ein unübersichtliches Netz von Beziehungen wird sowohl durch konkrete politische Entscheidungen, wie das 2019 verhängte Alkoholverbot, als auch durch indirekte Einflüsse wie Neubauprojekte in der Umgebung immer wieder verändert. Im derzeitigen Zustand führen die Umstände zu einer heterogenen Nutzung. Das Parkcafé, der Kunstpavillon und das Spielhaus manifestieren sich durch ihre Gebäude als fester Bestandteil der Anlage. Trotz dem Versuch einiger Akteure, sich von den Grünanlagen abzuschirmen, kommt es derzeit zu einer für München ungewöhnlichen Durchmischung von Nutzern. Seit dem Bau der Lenbachgärten und den Plänen zu einer Neugestaltung des Hauptbahnhofes beanspruchen neue Nutzergruppen den Alten Botanischen Garten, was einerseits zu einer Durchmischung führt, andererseits aber das Konfliktpotential erhöht.
↑ Aufgrund fehlender privater Flächen sind obdachlose Personen häufig gezwungen den öffentlichen Raum an ihre eigenen Bedürfnisse anzupassen.Dabei wird meist die geplante Funktion des Stadtraumes außer Acht gelassen und pragmatisch umgewandelt, um beispielsweise als Rückzugsort oder Schlafplatz genutzt zu werden. Nichtsdestotrotz werden vor allem in Randbereichen städtischer Plätze, wie den Grünflächen entlang des Königsplatzes oder im Alten Botanischen Garten, Sitzmöglichkeiten und Rasenflächen als Rückzugsorte genutzt. Diese Flächen sind meist wenig frequentiert, da sie nicht an direkten Durchwegungen liegen oder als unattraktiv wahrgenommen werden. Bedürftige bieten diese Orte zwar einen gewissen Schutz, werden jedoch durch die räumliche Segregation noch weiter aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt.
↑ Nachdem Zugänge zu Infrastrukturen in unserer Gesellschaft meist an Bezahlmechanismen gekoppelt sind, müssen obdachlose Stadtbewohner neue Wege finden, sich Zugang zu “substanziellen Infrastrukturdiensten” (Marquardt 2017) zu verschaffen. Dabei entstehen oft symbiotische Verbindungen, in denen sich Obdachlose vorhandene Strukturen aneignen. Fallbeispiele sind Flaschensammler als Teil der Abfallverwertungsstruktur im öffentlichen Raum sowie Obdachlose, die Nachts in Geschäftseingängen schlafen und dadurch gleichzeitig die Einbruchsgefahr minimieren. Diese informellen Anschlusspunkte an den Infrastrukturstrom werden von städtischen und privaten Institutionen meist negativ gesehen. Mit punitiven Ansätzen versuchen sie nichtregulierte Verhaltensweisen zu verhindern: Hausordnungen verbieten Flaschensammeln, Grünflächensatzungen das Kampieren, Sitzbänke mit Armlehnen oder unterteilten Sitzflächen verhindern das Schlafen in U-Bahnhöfen. Wir fordern den Beitrag obdachloser Mitbürger anzuerkennen statt zu kriminalisieren und ihnen gleichzeitig den Anschluss an das Netz öffentlicher Infrastrukturen leichter möglich zu machen.
Marquardt, Nadine (2017): Zonen infrastruktureller Entkopplung. Urbane Prekarität und soziotechnische Verknüpfungen im öffentlichen Raum. In: Michael Flitner, Anna-Lisa Müller, Julia Lossau (Hrsg): Infrastrukturen der Stadt. Springer Fachmedien Wiesbaden, 89 – 104.